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Weltkarte

Europa ist als VC-Standort besser als sein Ruf

Ein Kommentar von Michael Motschmann, General Partner der MIG AG

Von Zeit zu Zeit ist es sinnvoll, Mythen zu hinterfragen. Etwa die Vorstellung, welche Weltregion führend bei Venture Capital sei. Die USA gilt seit der Entstehung eines Wagniskapitalsektors in den 60er Jahren als das El Dorado für VC-Investoren. Die großen Tech-Firmen entstanden im Silicon Valley und auch die führenden jungen Unternehmen der Biotechnologie stammen aus den USA. China gilt global als die Nummer 2 unter den VC-Regionen, staatliche gefördert und mit Alibaba als Flaggschiff. Europa, so die vorherrschende Meinung, spielt lediglich die dritte Geige.

Europa hat beim Wagniskapital an Momentum gewonnen, der Vorsprung von US-amerikanischen VC-Fonds schmilzt.

Ein genauerer Blick auf die vergangenen Jahre belegt jedoch, dass Europa deutlich aufgeholt hat. Einige der weltweit wertvollsten Unternehmensgründungen haben ihre Heimat auf dem alten Kontinent – allen voran das schwedische Spotify, das 2018 mit einer Bewertung von 25 Milliarden Euro an die Börse ging. Spotify führte vor zwei Jahren damit die Rangliste der weltweiten Börsengänge von Startups an. Mit Adyen, Farfetch, avast, elastic und Funding Circle kamen 2018 weitere der größten VC-IPOs aus Europa. Im Oktober 2019 war der Börsengang von BioNTech, an dem wir mit den MIG Fonds beteiligt waren, einer der größten IPOs der Szene. Diese Leuchttürme zeigen: Europa hat beim Wagniskapital an Momentum gewonnen, der Vorsprung von US-amerikanischen VC-Fonds schmilzt.

 

Die Grundlagen dieses sichtbaren Erfolgs reichen rund eine Dekade zurück. Nach der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 hat sich in Europa eine breiter aufgestellte und bunte VC-Landschaft entwickelt. Allein der Europäische Investitionsfonds (EIF), dessen Haupteigentümer die Europäische Investitionsbank und die EU-Kommission sind, tätigte seit Bestehen indirekt Risikokapitalfinanzierungen und Garantien in 8000 Startups in einem Volumen von 18 Milliarden Euro.

Die MIG Fonds beispielsweise sind inzwischen an Startups neben ihren Heimatländern Deutschland und Österreich in Kopenhagen (Liva Healthcare) und Helsinki (IQM) beteiligt.

Ein Vorteil des alten Kontinents: Startup Gründungen erfolgen an überaus vielen Stand-
orten. Während sich die US-Investoren im Wesentlichen auf das Silicon Valley und einige Schwerpunkte an der Ostküste der Vereinigten Staaten konzentrieren, haben sich in Europa viele Länder und unzählige Städte zu Hochburgen für junge Unternehmer gemausert. Die MIG Fonds beispielsweise sind inzwischen an Startups neben ihren Heimatländern Deutschland und Österreich in Kopenhagen (Liva Healthcare) und Helsinki (IQM) beteiligt. Wir können vor Ort beobachten, wie sich diese Städte als Zentren für unternehmerische Innovationen etablieren. Europaweit entstehen auch außerhalb der Hauptstädte London, Paris oder Berlin Hotspots mit entsprechender Infrastruktur und Kultur für junge Firmen.

 

Viele dieser neuen Startup Standorte profitieren zusätzlich von einem europäischen Bonus, den dezentralen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Internationale Investoren haben den europäischen Trumpf erkannt, dass sich erstklassige Wissenschaft nicht nur an einzelnen Eliteuniversitäten abspielt. Sie interessieren sich auch deshalb für junge Firmen zwischen Lissabon und Stockholm, weil die Translation von wissenschaftlicher Forschung in Startup Gründungen gut funktioniert.

Die Erfolgsgeschichte des
europäischen Wagniskapitals wächst mit jedem profitablen Exit.

Natürlich gibt es strukturell weiterhin in Europa viel zu tun, um das Ökosystem für Risikokapital zu verbessern. Insbesondere müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit auch die großen IPOs künftig an den europäischen Börsen realisiert werden können. Die Erfolgsgeschichte des europäischen Wagniskapitals wächst mit jedem profitablen Exit. Im Besonderen braucht es die Bereitschaft von institutionellen Investoren, an
europäischen Börsen auf europäische IPOs zu setzen, die dann kapitalseitig gut ausgestattet über Grenzen hinweg zu großen Unternehmen wachsen können.

 

Trotz dieses Engpasses: Die europäische Start-up Szene ist besser als ihr Ruf. Dies ist auch deshalb ein wichtiger Befund, weil wir in der Post-Corona-Ära eine wirtschaftlich weniger global verflochtene Welt erleben werden. Die europäische Perspektive und damit auch eine vitale europäische Gründerszene werden zusätzlich an Bedeutung gewinnen.

 

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